Die Geschichte der Kühlerfigur

Es war Lord Montagu of Beaulieu, einer der ersten Autoliebhaber Großbritanniens, der 1899 als Erster eine St. Christopherus-Figur auf den Kühlergrill seines Daimler montierte. Dies eine Erfindung im engeren Sinne zu nennen, ginge allerdings etwas zu weit, denn seit Jahrhunderten ist es in der Seefahrt Brauch, den Bug eines Schiffes mit einer Galionsfigur zu schmücken. Und bereits die alten Römer liebten es, ihre Streitwagen in ähnlicher Weise zu verzieren – „Warum sollten Auto-Enthusiasten es ihnen also nicht gleichtun?“, fragt Reinhard Lintelmann.

Montagus Beispiel machte allerdings nicht sofort Schule, sondern konnte sich erst nach der Jahrhundertwende durchsetzen, als Autos zunehmend populärer wurden. 1906 lies Königin Marguerita von Italien auf den Kühlergrill ihres Itala ebenfalls eine St. Christopherus-Figur montieren. Weniger prominente Autoliebhaber folgten ihrem Beispiel und traten damit bald einen unbeschreiblichen Boom für dieses besondere Accessoire los. Die einzigen bis heute überlebenden Kühlerfiguren sind der Mercedes-Stern, der „Spirit of Ecstasy“ von Rolls-Royce sowie der springende Jaguar auf der Motorhaube des gleichnamigen Autos. Dies sind die letzten Vertreter von mehr als 6000 (!) verschiedenen Figuren, die einst unsere Kühler zierten.

Kühlerfiguren, die nur für eine einzelne Automarke bestimmt waren, waren vor hundert Jahren noch unbekannt. Die Autoindustrie sah wenig Nutzen in solchen Kinkerlitzchen und überließ die Herstellung solcher Höhenflüge der Fantasie lieber den Zubehörherstellern, wobei der Geschmack damals zwischen Kitsch und Kunst schwankte. Die Hersteller reizten das Prinzip „Nichts ist unmöglich!“ bis an seine Grenzen aus und präsentierten alle möglichen Arten von Vögeln, Löwen, Stieren, Tigern und sogar Schnecken als Miniaturfiguren, zierend den Kühler zu überragen; es gab neben Göttern auch Jäger, Boxer und Skiläufer – die Leute kauften einfach alles!

Besonders in Großbritannien und in Frankreich schoss eine Vielzahl von Firmen aus dem Boden, die sich auf die Herstellung von Kühlerfiguren spezialisierten. Die Firma Lejeune hatte alleine 60 verschiedene Hundefiguren im Angebot. Und in Großbritannien bot Desmo den Autobesitzern ihre Kühlerfiguren per Versandhandel an. Die Firma stellte außerdem individuelle Figuren nach den Wünschen der Kunden her.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Werbefachleute auf den Plan traten. Aus deren Perspektive war der Kühlergrill ein idealer Platz für Werbung im kleinen Maßstab, denn Autos waren damals noch eine Seltenheit und zogen entsprechend viel Aufmerksamkeit auf sich.

Die Werbebranche brachte bald eine ganz neue Palette von Kühlerfiguren auf den Markt – einige origineller als andere – die die Vorzüge von Ölproduzenten, Lampenherstellern, Reifenfirmen, Streichholzherstellern und einer großen Zahl von Autozulieferern priesen. Ärgerlich war nur, dass nicht jeder Autofahrer geneigt war, mit Werbung für irgendwelche Firmen herumzufahren.

Die Autohersteller, die dieser Entwicklung anfangs noch die kalte Schulter gezeigt hatten, sahen die ganze Sache nun mit anderen Augen. Besonders Rolls-Royce wollte nicht länger untätig zuschauen, wie die Kühler ihrer Luxuskarossen durch diesen grotesken Kitsch entweiht wurden. Die Firma beauftragte deshalb den bekannten Maler und Bildhauer Charles Sykes, die ‚Silver Lady’ zu schaffen, die noch heute jeden Rolls-Royce-Kühler ziert.

Diese Figur, offiziell „Spirit of Ecstasy“ genannt, wurde bereits 1911 eingeführt. Aber es dauerte dann doch noch ziemlich lange, bis auch andere Autohersteller dem Beispiel von Rolls folgten und renommierte Künstler mit dem Entwurf von exklusiven Kühlerfiguren für ihre Modelle beauftragten.

Einer dieser Künstler war Francois Bazin, dessen ‚Fliegender Storch’ (La Cigogne) die Kühler von Hispano Suiza schmückte (die spanische Marke Hispano Suiza produzierte zwischen 1904 und 1924 diverse Luxuswagen). Leider haben nur wenige Originale des eleganten Storchs mit den fließenden Linien überlebt.

Ein weiteres, sehr spezielles Stück Kühlerkunst war der tanzende Elefant, der auf Ettore Bugattis Traumauto zu finden war, dem mit 16 Zylindern ausgestatteten „Royal“. Ettore Bugatti war zwar ein begnadeter Autobauer, aber der silberne Elefant war nicht seine Schöpfung, sondern ein Entwurf seines Bruders Rembrandts, des Künstlers. Kenner werden wissen, dass Rembrandt Bugatti um 1905 bereits mehrere Dutzend Tierskulpturen geschaffen hatte. Der tanzende Elefant allerdings gelangte erst lange nach seinem Tod auf den Kühler dieses Wagens.

Von einer Jungfrau mit Flügeln und einem Lenkrad in ihren ausgestreckten Händen (Packard, USA) bis hin zu einem rothäutigen Indianerhäuptling aus durchsichtigem Plastik (Pontiac, USA) – der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. In einigen Fällen ergab sich die Art der Figur aus dem Markennamen, das beste Beispiel hierfür ist die springende Raubkatze von Jaguar. Die Jaguar-Figur wurde Mitte der 30er-Jahre von einem der führenden britischen Hersteller von Kühlerfiguren, Desmo, für die Modelle SS 80 und SS 100 entworfen. Allerdings gibt es größere Unterschiede zwischen dieser Version der schnellen Großkatze und den Versionen, die seit dem Zweiten Weltkrieg produziert wurden: Die Originalversion war sehr viel größer und wesentlich detaillierter, während die Nachkriegsversionen zunehmend schlichter gehalten wurden.

Kühlerfiguren wurden aus einer sehr breiten Palette von Materialien gefertigt. Es bestand zwar kein Zweifel darüber, dass Bronzeguss die beste Qualität bot, aber auch gegossenes Messing lieferte hervorragende Ergebnisse. Zink war das Material der Wahl für billige Massenprodukte, allerdings oxidierten diese Figuren recht schnell, bekamen Risse und wurden unansehnlich. In den 20ern lieferten viele Hersteller vernickelte Produkte, aber Verchromung bot einen noch besseren Oberflächenschutz. Ab 1928 konnten Kühlerfiguren als Alternative zur Verchromung auch per Galvanisierung mit einer dünnen Schutzschicht aus Silber versehen werden, aber das war nicht billig und wurde deshalb nur von Herstellern von teuren Luxuswagen gemacht.

Wirklich erlesene Kühlerfiguren wurden vom französischen Künstler und Juwelier René Jules Lalique hergestellt, dessen bevorzugtes Material Glas war! Ende der 20er stellte er ungefähr 30 verschiedene Kühlerfiguren in seinem Studio her. Seine Kunstwerke umfassten vor allem Tierskulpturen. Die relativ großen (85 mm bis 160 mm) und vor allem einzigartigen Stücke waren viel gefragt, besonders in den USA, wo sie Luxuswagen wie den legendären Duesenberg, den avantgardistischen Cord oder den teuren Marmon schmückten. Einige der Figuren von Lalique konnten sogar indirekt beleuchtet werden, was ihre feinen Details noch betonte – ein Merkmal, das sie noch attraktiver machte.

Nüchtern betrachtet sind alle Kühlerfiguren – egal ob Massenprodukt oder exklusive Einzelanfertigung – nichts weiter als Schmuckwerk ohne wirklichen Nutzen. Aber es gab Ausnahmen: In den 20ern versahen einige Hersteller die aufschraubbaren Figuren mit einem Thermometer: Der ‚Calormeter’, ein Temperaturfühler für das Kühlwasser, war geboren. Dieser funktionierte recht einfach: Ein dünnes Röhrchen reichte bis ins Kühlerwasser und beherbergte den unteren Teil eines Thermometers, so dass der Fahrer die Wassertemperatur mittels einer roten Quecksilbersäule an der Kühlerfigur bestimmen konnte. Je nach Funktionsprinzip stellten einige Produzenten auch Versionen mit einer Zeigeranzeige her, die anzeigte, ob die Wassertemperatur niedrig, normal oder hoch war. Diese ‚Calormeter’ waren damals ein sehr nützliches Gerät, denn nur sehr teure Luxuswagen besaßen zu dieser Zeit standardmäßig eine Wassertemperaturanzeige auf dem Armaturenbrett.

Mitte der 30er-Jahre verschwanden die Kühlsysteme der Autos unter der Motorhaube, so dass es keinen externen Kühlerverschluss zum Auffüllen des Kühlwassers mehr gab. Im Ergebnis bestand deshalb auch keine Notwendigkeit mehr, eine Kühlerfigur aufzuschrauben. Natürlich verloren die Autos dadurch durchaus nicht ihre Identität, denn es gab und gibt ja eine Menge Möglichkeiten, Markenplaketten und Logos auch an anderen Stellen anzubringen. Der Niedergang der Kühlerfiguren wurde vor allem von den Gesetzgebern begrüßt, denn Fußgänger zogen sich bei Autounfällen zunehmend schwerere Verletzungen zu. In der Tat verbot Großbritanniens Regierung 1966 Kühlerfiguren bei für den Straßenverkehr zuzulassenden Wagen, und viele europäische Länder folgten diesem Beispiel.

Nur zwei Firmen auf der ganzen Welt pflegen auch weiterhin ihre Kühlerfiguren. Eine von ihnen ist Rolls-Royce, bei deren Modellen ein Spezialmechanismus dafür sorgt, dass die ‚Flying Lady’ bei starker Krafteinwirkung im Kühlergehäuse versenkt wird. Die Modelle von Mercedes-Benz sind ebenfalls von dieser Bestimmung ausgenommen, denn der ursprünglich feste Mercedes-Stern (1925 eingeführt) ist schon lange durch eine klappbare Version ersetzt worden.

Inzwischen hat die Kühlerfigur ihren Hundersten bereits hinter sich. Schmückte sie früher als aufschraubbares Accessoire die Autos, so ist sie heute vor allem als Sammlerstück begehrt, auch von Leuten, die sich ansonsten kaum für alte Autos interessieren. Ihr Wert wird bestimmt durch die Seltenheit der Glasskulpturen von Lalique oder der Arbeiten anderer renommierter Künstler. Führende Auktionshäuser, vor allem in Großbritannien, veranstalten gelegentlich sogar eigene Auktionen für dieses spezielle (Sammler-)Gebiet. Eine deutlich preiswertere Möglichkeit, sich an diesen Objets d’Art zu erfreuen, bietet sich ganz einfach – beim Besuch eines Automuseums.